Ein Raum für die Seele. Leben und Werk von Jean-Michel Frank by Maarten van Buuren

Ein Raum für die Seele. Leben und Werk von Jean-Michel Frank by Maarten van Buuren

Autor:Maarten van Buuren [Buuren, Maarten van]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104035529
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Jean-Michel sieht eine Übereinstimmung zwischen dem Liebeskummer von Swann, der Hauptfigur in Eine Liebe von Swann, und der tiefen Niedergeschlagenheit, in der er in diesem Moment unterzugehen droht. Swann hat die Melodie von Vinteuil während einer Soirée gehört. Jahre später hört er die Melodie zum zweiten Mal, und dann hat sie eine herzzerreißende Wirkung auf ihn. Bei der ersten Soirée war Odette in seiner Nähe, und die Melodie hat wie ein Katalysator dafür gesorgt, dass die in Swann schlummernden Gefühle für Odette sich zu Liebe kristallisierten, die Swann sein ganzes Leben lang mit der göttlichen Melodie von Vinteuil assoziieren wird. Als Swann dieselbe Melodie Jahre später erneut hört, bricht sie ihm das Herz, weil ihm klar wird, dass die Liebe zwischen Odette und ihm in der dazwischenliegenden Periode entzaubert wurde. Der Prozess hat sich unbemerkt vollzogen, Swann hat ihn nicht spüren können oder wollen. Die Melodie rüttelt ihn wach, konfrontiert ihn mit der Tatsache, dass die Liebe zwischen Odette und ihm nicht mehr existiert und dass er sich die letzten Jahre krampfhaft an einer Illusion festgeklammert hat.

Jean-Michel sieht eine Ähnlichkeit zwischen der Entzauberung von Swanns Liebe und dem Moment, Ende Mai 1929, in dem er zusammenbrach. »Ich fühle mich wie jemand, der in zwei Teile geschnitten wurde«, sagt er als Einleitung zur Textstelle bei Proust, »mein Leben ist am 29. Mai zum Stillstand gekommen – und im Leben, das ich seither zu leben versuche, trägt alles aus meiner Vergangenheit nur dazu bei, dass ich noch mehr leiden muss.« Der große Unterschied zwischen Swann und Jean-Michel ist, dass Swann mit der Entzauberung seiner Liebe konfrontiert wird, während Jean-Michel meint, mit einem körperlichen Verfall konfrontiert zu werden, der an dem Schicksalstag im Mai 1929 eine kritische Grenze überschritten und zum Zusammenbruch geführt hat.

Zumindest wiederholte er das in seinem Brief mit großem Nachdruck. Aber stimmt die Argumentation mit dem Bild des Fensters überein, das ihn von einer Vergangenheit trennt, die er auf der anderen Seite, hell erleuchtet, aber unerreichbar, sehen kann? Weist die glückliche Vergangenheit nicht eher auf die Periode vor der Katastrophe von 1915 hin, das heißt, auf eine Kindheit, die auch Proust in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit versuchte, aufleben zu lassen? Jean-Michel assoziierte diese Periode mit »dem verlorenen Glück«, aber er wusste, dass das Wort »Glück« auf sein Leben nie zutraf, egal, wie weit er darin zurückging.

Der Vergleich zwischen Swann und ihm scheint die vorhergehende Argumentation bezüglich der körperlichen Art seines Zusammenbruchs weniger zu illustrieren und zu bestätigen, als ihr zu widersprechen. Der relative Schutz, den Jean-Michel in seiner Jugend genossen hatte, wurde abrupt durch den Tod seiner beiden Brüder zunichte gemacht, durch den Selbstmord seines Vaters und der seelischen Dämmerung, in die seine Mutter gestürzt wurde, und deren Tod, der sie kurz zuvor (Oktober 1928) erlöst hatte. Es scheint also offensichtlich, dass sein körperlicher Zusammenbruch Mitte 1929 die späte, aber unvermeidliche Folge des seelischen Traumas von Ende 1915 gewesen ist.



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